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Angriff der Killer-Croissants
Das Bild der jungen russischen Künstlerin Svetlana Janschwilli aus St. Peterburg stellt ein
mustergültiges Beispiel für die subalterne postsozialistische Chaosphase der russischen
Kunstszene der Gegenwart dar, deren bedeutendste, weil einzige Vertreterin, die in
Svertilitowsk geborene Malerin ist. In ihm spiegelt sich die Faszination der jungen Russin für
die westliche Welt wieder, die sie gleichermaßen vehement ablehnt. Darüber hinaus zeigt es in
drastischer Weise, woran es den jungen Kreativen in Russland mangelt. Hier sticht in erster
Linie die fehlende handwerkliche Grundausbildung ins Auge. Svetlana Janschwilli musste sich
alles selber erarbeiten, nie hat sie eine Malschule von innen gesehen. Offensichtlich aber auch:
Der Mangel an Farben. Das Bild „Angriff der Killer Croissants“ entstand ihren Angaben zu
Folge mit gestohlenen Farben, die sie Handwerkern entwendete, die St. Petersburg vor wenigen
Jahren für ein Jubiläum aufmöbelten. Kein Wunder also, dass eine blaue Katze durch den Raum
fliegt. „Ich hätte sie gern rötlicher gehabt, doch in der ganzen Stadt wurde fast nur blau
verwendet“, spricht Janschwilli die Unzulänglichkeiten in ihrem Werk offen an.
Dem Betrachter des Bildes bietet sich
trotzdem ein buntes Konglomerat an
Motiven, teilweise Zitate, dann wieder
surreale Momente. Aber gerade, weil kein
einheitlicher Stil erkennbar ist, bleibt man
immer wieder an Details kleben. Der
männliche Halbcorpus im Vordergrund hat
stark feminine Gesichtszüge. Unterstrichen
wird dieser Eindruck durch ein
handtaschenartiges Gebilde auf seinem
Kopf, dass er wie einen Hut trägt.
Halbgeöffnet lädt die Tasche zum
Hereingreifen ein. Ein erster, sehr subtiler
Akzent in der dezent vorgetragenen Gesellschaftskritik. Svetlana Janschwilli ist eine Meisterin
der versteckten Töne. Und das in doppelten Sinne. Grün entdeckt man nur nach längerem
Hinsehen im Hintergrund, teilweise wurde es dem dominanten Blau beigemengt und verwässert
den ohnehin diffusen Bildeindruck. Doch genau das hat die Petersburger Künstlerin
beabsichtigt. Sie hat das Bild mit, wie sie sagt „Tränen in den Augen“ gemalt..Und genau so soll
der Betrachter das Bild wahrnehmen. Eines der zahlreichen Grundthemen des imposanten
Oeuvres der postsozilialistischen Avantgardistin ist die Beherrschung des Gesamtmotivs durch
französische Backwaren. Hier ist nicht das Croissant als solches gemeint, nein, die aus dem
Hintergrund ins Blickfeld drängenden brötchenartigen Teile, verkörpern mehr. Sehen wir sie als
Synonym für die industrialisierte Lebensmittelbranche des Westens, erschließt sich uns einer
der möglichen Zugänge zu dem Bild. Betrachten wir noch einmal die Tasche auf dem Kopf der
Person im Vordergrund: Sie ist zwar halbgeöffnet, aber auch halbgeschlossen. Eines der
zahllosen Beispiele im Bild für die ambivalente Darstellungsweise. Was so scheinbar belanglos
daher kommt und eher zufällig ins Bild geraten zu sein scheint, entpuppt sich nach ausführlicher
Begutachtung als Teil eines komplexen Beziehungssystems, welches die Künstlerin wie ein
zartes Gewebe übers Bild gesponnen hat. Janschwilli zeigt hier die Tiefe ihrer russischen Seele.
Durch die Kontrastierung ihrer Privatwelt mit solch´ exotischen Motiven, wie z.B. einem Zebra,
lässt sie ihre eigene Zerrissenheit schemenhaft deutlich werden. Das ganze Chaos lichtet sich,
wenn der Zugang zum Bild geöffnet wurde. Nun gehen dem Betrachter reihenweise Lichter auf,
das Werk erhellt sich und wirkt erhellend. Auf dem Kopf des Zebras entdecken wir eine zweite
Tasche. Das Zebra zeigt dem Betrachter sein Hinterteil, als würde es sich abwenden. Während
die Person im Vordergrund die Kopfbedeckung offensichtlich gewollt und wohlwollend trägt,
scheint es für das Zebra eine Behinderung darzustellen. Die Taschen stehen in einem kaum
übersehbaren Zusammenhang, der sich wie folgt zusammenfassen lässt: Was den Menschen
erweitert, hindert die Tierwelt. Man ist geneigt, hinzuzufügen: Die Natur. Es handelt sich also
bei dem Werk von Janschwilli um nichts Geringeres, als die Auseinandersetzung mit den
geistigen Elementen ihrer Gegenwart. Konstrukte werden Form und verschwimmen zum
Geheimnisvollen. Doch dieses Geheimnis lässt sich enträtseln. Die Schlüssel hat die Künstlerin
sorgsam im Bild versteckt, aber man kann sie finden. Wenden wir uns nämlich, bevor wir zur
zentralen Figur des Bildes kommen, den drei Fechtern im Hintergrund zu. Sie wirken bedrohlich
und anonym. Gesichtslos scheinen sie zum tödlichen Stich bereit. Allein wo ist ihr Gegner? Ist
es das Zebra, auf das sie es abgesehen haben? Wohl kaum. Ebenso wenig plausibel ist es, das
sich ihr Sinnen gegen die androgyne Person im Vordergrund richtet. Dafür ist sie zu weit
entfernt und erscheint alles andere als bedroht. Janschwilli lässt die Fechter erst mal im Raum
stehen. Niemand ahnt, woher die drei Unbekannten kommen und wohin es sie treibt. Erst bei
der Entschlüsselung der zentralen Figur in der Mitte des Bildes, wird klar, dass sie als ein Zitat
für Vergangenheit und Vergängliches stehen. Menschliche Schimären. Fast erscheinen sie wie
eine Fata morgana hinter dem Mittelfeldspieler, der mit wuchtigem Tritt eine blaue Katze in den
Vordergrund befördert. Was hat es mit dieser Person auf sich? Es handelt sich um einen Spieler,
einen Fußballspieler. Er symbolisiert nicht nur die Gegenwart, sondern als einziges aktiv
handelndes Motiv im Bild treibt es das Geschehen voran und verleiht ihm Dynamik. Sogar die
überdimensionalen Brotteile scheinen im Raum innezuhalten und abzuwarten, welche Folgen
der Katzentritt hat. Bei dem Konterfei des Spielers handelt es sich um den Onkel der Künstlerin.
Er wurde nach dem frühen Tod ihres leiblichen Vaters in einer Kohlemine nicht nur zum
Vaterersatz, sondern zu ihrer Identifikationsfigur. Leonid Beckowski spielte seit seinem 13.
Lebensjahr bei Dynamo Svertilitowsk als Mittelstürmer. Alten Spielberichten zufolge kam er
„aus der Tiefe des Raums, tauchte unerwartet vor dem gegnerischen Tor auf“ und schoss mit
seiner einzigartigen Seitfalltechnik diverse Tore. Erst mit diesem Hintergrundwissen wird klar,
warum Svetlana Janschwilli dieser Figur einen so zentralen Platz einräumt, ja, warum sie
überhaupt erscheint. Sie selbst verbirgt sich hinter diesem Mann. Eine doppelte Tarnung, die ihr
trefflich gelingt. Durch die Phalanx der feindlichen Croissants drängt sie ungehindert in den
„Strafraum“ und begeht dort ein Sakrileg. Sie tritt eine blaue Katze, die, wäre sie nicht Opfer
der russischen Mangelwirtschaft geworden, rötlicher geraten wäre. Die politische Dimension
des Bildes erhält durch diese Tatsache eine völlig andere Richtung. Nicht nur der „blaue
Westen“ wird in Form eines raubenden Haustieres in den Hintern getreten, nein, Janschwilli tritt
alles mit den Füssen. Auch das postsozialistische Chaos befördert sie aus ihrem in unser
Blickfeld. Doch darin zeigt sie keinerlei Resignation. Im Gegenteil die Künstlerin packt an und
tritt zu. Spielerisch umkurvt sie die lästigen Croissants, die sich wie Außerirdische ihrem
Lebensumfeld bemächtigt zu haben scheinen.